Zufälliger Text aus der Rubrik "Weihnachtsgeschichten"

Die Weihnachtskugel

Es war einmal eine ganz besonders schöne Weihnachtskugel. Nach dem Fest sollte sie, wie jedes Jahr, mit den anderen zurück in die Schachtel gepackt werden. Die Kugel aber wollte nicht schon wieder das ganze Jahr im dunklen Keller liegen. Sie wehrte sich und schaukelte hin und her, solange bis sie von der nadelnden Tanne rutschte, auf den weichen Teppich fiel und unter die Vitrine kullerte. Da lag sie nun, leicht verbeult durch den Aufprall in der hintersten Ecke. Etwas Goldstaub war durch den Aufschlag abgesprungen.

Es vergingen Tage und Wochen. Niemand schien sie zu vermissen. Allein und ohne die anderen fühlte sich die Weihnachtskugel bald sehr einsam. Ach wenn sie doch jetzt nur bei ihnen in der Schachtel im Keller wäre, wünschte sie sich. Sie fürchtete niemals gefunden zu werden, sondern hier für immer liegen zu bleiben, um lediglich für die Spinnen eine willkommene Abwechslung zu sein. Ihr fielen die lachenden Kinder ein, die vor dem geschmückten Baum Weihnachtslieder sangen, wie sie sich in ihr spiegelten und sie als schönste Kugel immer wieder bewunderten.

Aus ihrem dunklen Versteck sah die Weihnachtskugel die Füße der Familie, wie sie in ihren Hausschuhen immer wieder vorbeigingen oder etwas aus der Vitrine holten. Der Staubsauger rammte regelmäßig jaulend das Schrankbein und ließ die Vitrine zittern. Doch keiner schaute je darunter. Nur die Hauskatze tapste hin und wieder mit ihren Pfoten nach ihr.

Die Weihnachtskugel weinte still in sich hinein. Ohne ihre Familie und Freunde sollte sie vergessen unter dem Schrank verrotten. Die Zeit verging. Der Frühlingswind trug Blüten durch das geöffnete Fenster vor den Schrank. Das Glas der Kugel wurde stumpf und stumpfer. Der Sommer kam und es wurde heiß. Der Teppich wellte sich leicht vor Hitze.

Die Weihnachtskugel fühlte sich ausgebrannt. Sie war fast blind vor Schmerz. Eine Maus hatte sich in der Wohnung verirrt und flüchtete vor der Katze unter die Vitrine. Sie schnupperte vorsichtig an ihrem verstaubten Spiegelbild in der Kugel. Jedoch erkannte sie die Not der Kugel nicht und rannte schnell fort, als die Katze eingeschlafen war. Dann wehte der Herbstwind rotgelbe Blätter durchs geöffnete Fenster vor den Schrank. Die Kugel hatte keinen Glauben mehr daran jemals gefunden zu werden.

Doch dann kam das Weihnachtsfest. Der kleine Spielball, den das Kind gerade ausgepackt hatte, rollte plötzlich unter den Schrank. Das Kind weinte so sehr über den Verlust seines Balls, dass seine Mutter auf Knien unter der Vitrine suchend nach dem Ball tastete und die verstaubte Kugel endlich fand. Die Freude war groß, als sie nicht nur den Ball sondern auch ihre Lieblingsweihnachtskugel in den Händen hielt und sie vorsichtig säuberte.

Jetzt glänzte sie wieder und freute sich sehr. Die Mutter hing sie zu den anderen Kugeln an den Weihnachtsbaum. Sie waren lange getrennt voneinander und hatten sich jetzt unendlich viel zu erzählen. Und die Weihnachtskugel wollte nie wieder fort.

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