Weihnachtsmärchen

In einer bitterkalten Dezembernacht sollte das alljährliche Engeltreffen erstmals auf der Erde stattfinden.

Nach langer Suche fanden die Engel einen geeigneten Festsaal neben dem Ballsaal der Märchen auf einer einsamen Insel.
Als die Engel eintrafen, hörten sie, wie sich die Märchen lauthals nebenan unterhielten.

Rapunzel klagte über ihre langen schweren Zöpfe, die sie sich nicht abschneiden lassen durfte. Rapunzel ohne Zöpfe? Dann müsste das Märchen ja neu geschrieben werden!
Wie gern würde sie sich, ach doch nur einmal, von einem Starfriseur frisieren lassen, erzählte sie Dornröschen. Außerdem beweinte sie die verbotene Liebe zu Hänsel.
Der Froschkönig wollte nicht von der Prinzessin geküsst werden, weil sie Mundgeruch hat und es ihm immer übel wird. Rotkäppchen wollte die Großmutter nicht mehr besuchen. Sie wollte lieber Party machen mit dem Wolf. Oder Fahrradfahren oder so.

Die Märchen schienen richtig unglücklich zu sein. Die Engel erschraken. Dachten sie doch immer, dass die Märchen glücklich und zufrieden sind.
Unzufriedenheit kannten sie bis zu diesem Zeitpunkt nur von den Menschen. Es musste ganz schnell etwas passieren, denn alle Menschenkinder brauchen Märchen.

Also beschlossen die Engel Weihnachten nicht wie gewohnt Anfang Dezember zu feiern, sondern erst einmal hinten anzustellen, um den Märchen zu helfen.
Dadurch entstand auf der ganzen Welt eine große Unruhe und ein Land gab dem anderen die Schuld Weihnachten entführt zu haben.

In der Zwischenzeit modernisierten die Engel alle Märchen. Hans im Glück gewann bei der Glücksspirale. Der Prinz musste nun nicht mehr Dornröschens küssen,
sondern beschloss Popstar zu werden. Rapunzel ließ sich einen Irokesenschnitt schneiden, zog aus dem Turm in eine Penthaus-Wohnung und heiratete Hänsel.
Endlich waren alle wieder glücklich und zufrieden.

Nun schickten die Engel Gabriel auf die Erde, ihren Friedensengel, der am Heiligen Abend mit einem Stern über Bethlehem leuchtete
und den Menschen als Bote der Liebe in Erscheinung trat.

Schnell versöhnten sich alle Völker dieser Welt und feierten das etwas verspätete Weihnachtsfest fortan immer am 24. Dezember. Sie nannten die Dezemberzeit die Adventszeit und zündeten jeweils sonntags eine Kerze an.

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